Interview zur De-minimis-Regelung mit BRV-Geschäftsführer Michael Schwämmlein

Mit der De-minimis-Förderung will der Staat Sicherheit und Nachhaltigkeit im Güterverkehr verbessern – auch mit entsprechenden Reifen. Über die Details der De-minimis-Förderung hat Bohnenkamp mit Michael Schwämmlein gesprochen, dem Technischen Geschäftsführer beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV).

Michael Schwämmlein ist seit dem Jahr 2019 Technischer Geschäftsführer beim BRV

Regelmäßig zum Jahresbeginn ist in der Logistikbranche die Rede von der De-minimis-Förderung. Unternehmen sollen mit dem Zuschuss des Staates ihre Flotte unter Umwelt-, Sicherheits- und Nachhaltigkeits-Aspekten modernisieren. Die Öffentliche Hand verschenkt allerdings keine kompletten E-Trucks. Stattdessen fließt Geld „für Kleinigkeiten“, wie „de minimis“ wörtlich übersetzt heißt. Zu diesen geförderten Kleinigkeiten gehören auch Lkw-Reifen. Über die Details der De-minimis-Förderung hat Bohnenkamp mit Michael Schwämmlein gesprochen. Der Technische Geschäftsführer beim Bundesverband Reifenhandel und Vulkaniseur-Handwerk e.V. (BRV) verrät, wie Speditionen und Logistiker die De-minimis-Förderung bestmöglich nutzen können.

Bohnenkamp: Was genau soll die Ausschüttung der De-minimis-Förderung im Verkehrssektor bewirken?
Michael Schwämmlein: Die De-minimis-Förderung will Unternehmen des Güterverkehrs in den Bereichen Umwelt und Sicherheit unterstützen. Gerade bei der Reduzierung des CO2-Ausstoßes im Transportsektor sind die Ist-Werte weit weg von der Zielmarke. Nun wird eine nationale Subvention von der EU immer kritisch beäugt, weil sie wettbewerbsverzerrend sein könnte. Die De-minimis-Regelung umschifft diesen Kritikpunkt, weil es, wie der Begriff sagt, um „Klein-Förderungen" geht.

Welche Anschaffungen sind denn grundsätzlich förderfähig?
Es werden unter anderem über-obligatorische Sicherheitseinrichtungen für Fahrzeuge gefördert. Dazu gehören die mit dem 3PMSF-Symbol oder per M+S-Siegel gekennzeichneten Reifen auf einigen Achspositionen, wie sie etwa zur vorgeschriebenen Ausstattung der situativen Winterreifenpflicht gehören. Auch Reifen mit geringem Rollgeräusch und geringem Rollwiderstand sind förderfähig.

Es gibt darüber hinaus viele Bereiche, die mit Reifen nichts zu tun haben. Gefördert werden zum Beispiel Fahrerassistenzsysteme und Kommunikationssysteme zwischen Fahrzeug und Flottenmanagement. Es gibt viele aerodynamische Maßnahmen, die zur Verringerung des Treibstoffverbrauches führen und deswegen gefördert werden, oder Installationen, die sich positiv auf die Partikelemissionen auswirken – und natürlich Umwelt- und Sicherheitszertifizierungen. Es gibt auch Einzelmaßnahmen zur Arbeitsplatzergonomie, um den Fahrer zu entlasten und Ermüdung vorzubeugen. Wer sich abschließend dafür interessiert, sollte sich die Positivliste des Bundesamt für Logistik und Mobilität (BALM) anschauen. Was dort nicht vermerkt ist, wird auch nicht gefördert.

Was genau sagt die De-minimis-Regelung zur Förderung von Reifen und Rädern?
Im Reifenbereich gliedert sich die Förderung in zwei Abschnitte. Das ist einmal der Abschnitt 1.3, er beschreibt die Förderung von überobligatorischer Ausrüstung mit Winterreifen von Achsen, die nicht bereits durch die situative Winterreifenpflicht vorgeschrieben sind. Das betrifft seit Juli 2020 die permanent getriebenen Antriebsachsen eines Fahrzeuges und die vorderen Lenkachsen. Das sind – um technisch zu bleiben – Reifen mit M+S-Kennung, die vor dem Jahr 2018 hergestellt wurden, und natürlich die aktuellen Reifen mit der Schneeflockenkennzeichnung (3PMSF-Symbol). Es ist unerheblich, ob es sich um neue, gebrauchte oder runderneuerte Reifen handelt.

Diese Reifen werden zu 100 % des netto-netto-Preises gefördert. Diese Formulierung hat in der Vergangenheit immer wieder zu Missverständnissen geführt. Denn generell werden immer nur 80 % der zuwendungsfähigen Ausgaben, sprich 80 % der Nettokosten übernommen.

Die zweite Förderung ist nach Abschnitt 1.9 die Förderung von (runderneuerten) Reifen in Abhängigkeit ihrer Labelklassen bezüglich der Geräuschemissionen und des Rollwiderstandes.

  • Reifen die mit Reifenabrollgeräusch der Klasse A (oder 1ner Schallwelle) gekennzeichnet sind und
  • eine Rollwiderstandsklasse D oder E aufweisen, werden mit 30%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • eine Rollwiderstandsklasse C aufweisen, werden mit 60%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • eine Rollwiderstandsklasse B aufweisen, werden mit 70%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • eine Rollwiderstandsklasse A aufweisen, werden mit 80%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • Reifen die mit Reifenabrollgeräusch der Klasse B oder C ( oder 2 oder 3 Schallwellen) gekennzeichnet sind und
  • eine Rollwiderstandsklasse C aufweisen, werden mit 30%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • eine Rollwiderstandsklasse B aufweisen, werden mit 40%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.
  • eine Rollwiderstandsklasse A aufweisen, werden mit 50%* des Kaufpreises, der Mietgebühren oder der Leasingraten gefördert.

Parallel dazu gilt generell für runderneuerte Reifen eine pauschale Förderung von 50 %, die über ihre Nachhaltigkeit mit in die Förderung einfließen können.

Was bedeutet die Reifenförderung nach der De-minimis-Regelung in konkreten Zahlen? Haben Sie ein Beispiel?
Stellen wir uns einen dreiachsigen 26-Tonner mit der Achskonfiguration 6x2, also einer gelenkten Vorderachse, einer permanent getriebenen Antriebsachse und einer Nachlaufachse vor. Dann könnte man dieses Fahrzeug wie folgt ausrüsten:

  • Gemäß der Förderung nach Abschnitt 1.3 kann man auf der Nachlaufachse Winterreifen montieren, wie wir sie gerade definiert haben. Bei einem Preis von je 450 Euro und einem Fördersatz von 100 Prozent für überobligatorische Mittel wären das 900 Euro zuwendungsfähige Ausgaben.
  • Auf die Vorderachse montiert man zwei Reifen mit jeweils einer A-Bewertung in Geräuschemission und Rollwiderstand. Dann sind das bei einem Reifenpreis von 2 x 450 Euro und einer Förderquote von 80 % genau 720 Euro zuwendungsfähige Ausgaben.
  • Auf die Antriebsachse kommen vier runderneuerte Reifen. Dann hätte man bei einem angenommenen Preis von 300 Euro je Reifen eine Pauschalförderung von 50 %, also 600 Euro zuwendungsfähige Ausgaben.

In Summe haben wir somit zuwendungsfähige Ausgaben in Höhe von 2.220 Euro, die zu maximal 80 % gefördert werden. Wir wären dann also bei 1.776 Euro Förderung.

Das ist aber noch nicht alles, denn auch die Kosten für Montage und Montagehilfsmittel mit einer Förderquote von 100 Prozent absetzbar sind. Nimmt man Montagekosten von 30 Euro je Reifen an, wären das nochmal insgesamt 240 Euro zuwendungsfähige Ausgaben, von denen 80 Prozent gleich 192 Euro ausgezahlt würden. Damit stiege die Förderung auf insgesamt 1.968 Euro an.

Gibt es Förderungshöchstgrenzen?
Eines vorweg, wir reden nur über Fahrzeuge, die im Gütertransportverkehr eingesetzt werden, also der Mautpflicht unterliegen, und die ein zulässiges Gesamtgewicht von mehr als 7,5 Tonnen haben.

Die Förderung ist darüber hinaus durch mehrere Obergrenzen gedeckelt. Je Fahrzeug darf die Förderung den Grenzwert von 2.000 Euro nicht überschreiten. Außerdem darf ein Unternehmen nicht mehr als 33.000 Euro aus diesem Fördertopf beziehen. Und die Summe aller De-minimis-Förderungen darf je Unternehmen in einen Zeitrahmen von 3 Jahren nicht mehr als 100.000 Euro betragen. So will der Gesetzgeber Wettbewerbsverzerrungen vermeiden.

Auch die jährliche Förderperiode ist zu beachten. Sie hat für das Jahr 2023 am 09. Januar begonnen und wird voraussichtlich am 02. Oktober enden. Während dieses Zeitraums können die insgesamt rund 260 Millionen Euro Fördergelder beantragt werden. Hier ist es wichtig, den Antrag schnell einzureichen, denn die Abwicklung erfolgt strikt nach Eingangsreihenfolge.

Wo erhalten Unternehmen Hilfe bei der Antragstellung zur De-minimis-Förderung?
Hilfe erhalten Firmen unter anderem beim BALM. Dort gibt es einen detailliert ausgearbeiteten und gegliederten Fragen- und Antwortkatalog als PDF, der Hilfestellungen zu konkreten Anliegen gibt. Außerdem bieten verschiedene Gütertransportverbände ihren Mitgliedern praxisnahe Hilfestellungen, etwa zum Ausfüllen der Formulare. Die Excel-Hilfestellung zur exakten Berechnung der Förderungshöhe nach Abschnitt 1.9 haben auch wir unseren Mitgliedern kürzlich zur Verfügung gestellt. Sie findet sich aber auch auf der Seite des BALM. Hier kann man pro Fahrzeug die Reifen- und Montagekosten sowie die jeweiligen Reifenklassen einpflegen. Das Tool kalkuliert dann die zuwendungsfähigen Ausgaben und die 80-prozentige Förderungssumme.

Was sollten Reifenhändler und Betreiber von Werkstätten noch bei dem Thema De-minimis berücksichtigen?
Wenn ein Reifenhändler die Rechnung stellt, müssen unbedingt die erforderlichen Labelwerte und Produkteigenschaften auf der Rechnung auftauchen, also die 3PMSF-Kennzeichnung, die Geräuschemissionsklasse und der Grad des Rollwiderstandes klar identifizierbar sein. Wir raten im Rahmen der neuen Reifenkennzeichnungs-Verordnung dazu, der Rechnung einfach den Label-Ausdruck für die betreffenden Reifentypen beizulegen. Die Kosten für den Montageaufwand und die eingesetzten Hilfsmittel müssen ebenfalls den jeweiligen Reifen zugeordnet werden. So kann der Antragsteller dem BALM gegenüber seine Pflichten ideal erfüllen.

Für mich ist wichtig, dass der Händler den Kunden über seine Möglichkeiten informieren kann, aber bitte so, dass im Mittelpunkt der Reifenempfehlung der Fahrzeugeinsatz und nicht die Förderungsmaximierung steht. Denn es macht ja keinen Sinn, einem Spediteur, der nur im Regionalverkehr unterwegs ist, nur deswegen einen Fernverkehrsreifen zu verkaufen, weil der die Rollwiderstandsklasse A hat. Das Profil wird bei der Laufleistung einbrechen und dann hat der Betreiber nichts gewonnen.


Zur Person:
Der diplomierte Elektroingenieur Michael Schwämmlein fand Ende der achtziger Jahre bei einem französischen Hersteller seinen Einstieg in das Reifenbusiness. Hier hatte er mit der Konstruktion und Optimierung von Reifenaufbaumaschinen begonnen. Über die Produkttechnik kam er schließlich zur Betreuung von Runderneuerern und Reparateuren. Schon in dieser Zeit hat er sich in verschiedenen technischen Arbeitskreisen des BRV engagiert. Der Verbandstätigkeit blieb Schwämmlein während seiner weiteren internationalen Karriere treu. Auch im europäischen Runderneuerungsverband BIPAVER (Bureau International Permanent des Associates de Vendeurs et Rechapeurs de Pneumatiques) hat sich Michael Schwämmlein eingebracht. Dort war er zuletzt als technischer Berater festangestellt. Im Jahr 2019 löste Michael Schwämmlein seinen Vorgänger Hans-Jürgen Drechsler im Amt des technischen Geschäftsführers beim BRV ab.